Solidarität und Toleranz (Vortragsreihe "Toleranz: Ein Gebot und seine Grenzen")
Kostenfrei
Vortragsreihe "Toleranz: ein Gebot und seine Grenzen" an der Hochschule Konstanz
Die Vortragsreihe wendet sich ausdrücklich an ein Publikum ohne Vorkenntnisse in Philosophie, Ideen- oder Kulturgeschich -te, hat also einführenden Charakter.
Veranstaltungsdetails
Solidarität und Toleranz sind Werte, die aufeinander verweisen. Um Solidarität im Denken und Handeln zu ermöglichen, scheint Toleranz eine Bedingung zu sein. Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit das Verständnis und die Praxis von Solidarität, historisch und aktuell, eine wichtige Differenz ostdeutscher und westdeutscher Kultur ausmacht.
In der DDR war Solidarität das letzte der zehn Gebote der sozia-listischen Moral und Ethik: »Du sollst dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktäti gen (...) einsetzen«, verlangte Walter Ulbricht von der DDR-Bevölke rung auf dem SED-Parteitag von 1958. Das Gebot bezog sich vor allem auf die aus dem sozialistischen Ausland importierten Arbeiter, deren Anwesenheit mehr erzwungen war durch den Arbeitskräftemangel, als geleitet von brüderlicher (sic) sozialistischer Solidarität. Das zeigte sich auch im Alltag der Fremdarbeiter, die durch strenge Regeln und Kontaktverbote von den deutschen Kollegen abgeschirmt wurden. Die eingeforderte Solidarität war, so Historikerinnen und Politikwissenschaftler, vor allem eine staatlich verordnete und stark ideologisch geprägt.
Eine aktuelle Zeitdiagnose lautet, dass solidarisches Verhalten im Kreis von Familie und Freunden in den neuen Bundesländern sehr ausgeprägt sei, hingegen deutlich weniger im beruflichen oder öffentlichen Umfeld, wo eher Skepsis im Arbeitsalltag bestehe. Dennoch wird auch im Arbeitsumfeld solidarisches Verhalten eingefordert, das sich auf Toleranz und Diversität, aber auch auf gleichen Lohn bei ungleicher Arbeitsleistung beziehen kann.
Dass das Vertrauen in staatliche Institutionen und politische Strukturen in den neuen Bundesländern geringer ist als in den alten, ist ein Gemeinplatz. Weniger Aufmerksamkeit erfährt die Frage, was hierzu möglicherweise ein unterschiedliches Verständnis von Solidarität beiträgt und inwiefern dieses mit der Vorstellung einer »offenen Gesellschaft« harmoniert. Wie also wird Partizipation im Namen von Solidarität und Toleranz konstituiert, welche Sozialtechniken werden in einer Gesellschaft angewandt, auf welchen Wertekanon wird dabei referiert und wie artikuliert sich hier jeweils Vertrauen oder eben Mißtrauen in demokratische Prozesse? Was kann vor diesem Hintergrund vom sozialen Experiment der Wiedervereinigung gelernt werden? Und was könnten »die alten Demokraten« von »den neuen Demokraten« über andere, neue demokratische Partizipations formen lernen?
Referentin:
Astrid Schwarz forscht und lehrt zu Technikphilosophie und Um weltanthropologie. In ihrer philosophischen Feldforschung untersucht sie wissenschaftliches und künstlerisches Experimentieren, Begriffe und Objekte von Technik und Umwelt. Sie ist Professorin für Allgemeine Technikwissenschaft an der BTU Cottbus-Senftenberg, zuvor war sie in der Schweiz, in China, Deutschland und in Frankreich tätig. Buchpublikationen sind: »Experiments in Practice« (2014) und als Mitherausgeberin »Research Objects in their Technological Setting« (2017).